Eine Frage der Haltung: “Ich brauche Transformation, nicht Wandel.”

Wandel. Eine Vokabel, die nicht erst im Zuge der gegenwärtigen Digitalisierung Gewicht bekommen hat.

Wandel ist die Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen, sie bestenfalls zu beherrschen – um weiter zu bestehen. Die Umstände, die Unternehmen heute zum Wandel treiben, ändern sich schneller, häufiger und unerwarteter denn je. Nicht nur in der Technologie. Auch in Sachen Führung selbst. Frank Hüttemann, Chef und Inhaber von PSV in Siegen, will von Wandel nichts wissen. Ganz bewusst. „Wandel bedeutet für mich, etwas Bestehendes zu verändern, es anzupassen. Aber wenn man auf die Digitalisierung blickt, muss man verstehen, dass vieles, was früher funktioniert hat, heute keinen Sinn mehr ergibt, selbst wenn man es anpasst. Daher ist mir der Begriff Transformation lieber – sich in etwas neues, besseres, vielleicht sogar anderes zu verwandeln. Das muss das Ziel sein.“

Alles ändert sich

Hüttemann, der den nachhaltigen Erfolg seines Unternehmens letztlich auch damit begründet, das bestehende Geschäft immer wieder zu hinterfragen, präzisiert: „Letztlich geht man beim Wandel davon aus, etwas im Kern zu erhalten und es den äußeren Umständen anzupassen. Das ist meiner Meinung nach heute oft nicht der richtige Weg. Denn es ändern sich ja nicht nur die Umstände. Wir, unsere Gewohnheiten, unsere Bedürfnisse und unsere Wertvorstellungen ändern sich mit Ihnen. Mit Blick auf unser Metier, Marketing und Kommunikation, würde Wandel beispielsweise bedeuten, die alte Denkweise des Marketings auf neue Medien zu übertragen. Aber was für einen Sinn hat eine 80-seitige Produktbroschüre als PDF, wenn Menschen heute nicht mehr downloaden und lesen, sondern unmittelbar und einfach informiert werden wollen? Also brauche ich Transformation, nicht Wandel. Keine Raupe mit Flügeln, sondern einen Schmetterling. Ich brauche etwas Neues, etwas Besseres.“ Hüttemann macht keinen Hehl daraus, dass ihn der Umgang mit dem Wort Wandel stört. „Sowohl privat als auch unternehmerisch war mein Leben immer davon geprägt, dass sich die Umstände, in denen ich mich befand, radikal geändert haben. Wandel hätte mich da nicht weitergebracht. Eine klassische Werbeagentur hätte die Wirtschaftskrise nicht überlebt, ebenso wenig würden wir in fünf Jahren noch existieren, wenn wir Digitalisierung mit der Programmierung von Webseiten gleichsetzen. Daher kann ich immer wieder nur betonen: Wer sein Unternehmen wandeln will, läuft Gefahr, etwas, das seine beste Zeit in der Vergangenheit hatte, für die Zukunft anpassen zu wollen. Das kann nicht funktionieren. Und das war schon immer so. Wer weiter auf die Postkutsche setzte, als das Automobil die Straßen erobert hat, hatte keine Zukunft.“

Werte dürfen nicht hemmen

Sorge bereitet dem Agenturchef der Mittelstand. Gerade dort sei das Denken immer noch zu sehr vom Bewahren alter Werte geprägt. Was nicht falsch ist, aber laut Hüttemann auch nicht die Führung des Unternehmens bestimmen sollte. „Dass der Mittelstand Werte hat, ist gut. Aber Werte dürfen kein Grund sein, sich nicht zu verändern. Ich kann die Werte in die Zukunft mitnehmen. Wenn mein Unternehmen für Vielfalt steht, dann kann ich das heute auch digital abbilden. Nur muss ich verstehen, dass Vielfalt 2018 vielleicht etwas ganz anderes bedeutet, als 1990. Da tun sich viele Mittelständler, insbesondere im B2B, sehr schwer. Weil sie glauben, dass sich mit der Digitalisierung letztlich nur die Werkzeuge, aber nicht die Inhalte ändern. Das merkt man am Beispiel Kundenorientierung. Für viele bedeutet das immer noch, alles Mögliche zu kommunizieren, was den Kunden interessieren könnte. Ohne vielleicht mal zu fragen, ob der Kunde es nicht lieber einfacher und effizienter haben möchte. Wenn dann Unternehmen stattdessen beispielsweise mit Online-Konfiguratoren versuchen, den Portfolio-Wildwuchs zu vereinfachen, vielfältig zu sein, statt mal zu hinterfragen, ob es überhaupt noch wirtschaftlich ist einen Bauchladen zu führen, dann wird mir mulmig. Das ist meiner Meinung nach der Unterscheid zwischen Wandel und Transformation. Nicht anpassen. Neu und besser machen. Und da tut sich der Mittelstand schwer, weil er Angst hat, es ginge mit der Transformation etwas verloren.“ Er ergänzt und mahnt: „Wenn man genau hinschaut, geschieht Disruption überall da, wo Wandel vom Werterhalt dominiert ist. Ob im Bankwesen, im Einzel- und Fachhandel oder in der Kommunikation – zukunftsfähig sind nur die, die nicht das Neue hinterfragen, sondern das Bestehende ehrlich und kritisch auf den Prüfstand stellen!“

Auch wenn er sich nicht unbedingt als Kritiker sieht, sondern als starker Fürsprecher des Mittelstandes, ist es Hüttemann immer noch ein großes Anliegen, mit gesundem Menschenverstand aufzuklären, was seiner Meinung nach in Sachen Digitalisierung alles falsch läuft. Nicht umsonst wird er immer wieder zu Vorträgen eingeladen. „Dass man plötzlich nicht mehr nur die Industrie berät, sondern vor Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, Klinikbetreibern und politischen Entscheidern auf Bundesebene spricht, zeigt, dass in allen Branchen Bedarf für Klartext da ist. Mit Kommunikation wird ja massiv Geld verbrannt, ob mit Plakatkampagnen gegen den demographischen Wandel, Allgemeinplätzen im Regionalmarketing oder Pseudostrategien zum Thema Digitalisierung. Ich stell mich da gerne hin, um aufzudecken, was falsch läuft. Und eben auch zu zeigen, dass nicht alles, was wir erzählen, richtig sein muss. Besonders das, was man so zum Thema Wandel hört. Denn wie gesagt, ich glaube, wenn man ein Unternehmen heute nachhaltig für die Zukunft aufstellen will, reicht Wandel nicht. Und das klar zu machen, ist ein immens schwieriger Job. Nicht nur von außen, auch von innen.“ Er erläutert: „Versuchen Sie mal, gewachsene Strukturen zu verändern. Die meisten Change-Projekte scheitern genau daran, dass man etwas ändert, was sich nicht ändern kann. Und gerade heutzutage, wo sich alles so schnell wandelt, will man ja schützen und bewahren. Man sucht Stabilität. Das ist menschlich. Aber für ein Unternehmen tödlich. Da droht Disruption. Nicht umsonst werden ja die meisten Märkte von branchenfremden Unternehmen aufgemischt – weil die sich das anschauen, das Bestehende kritisch hinterfragen und dann neu denken.“

Der aus dem Ruhrpott nach Siegen gezogene Markenfachmann dehnt das Thema gerne auch auf andere Bereiche aus.

„Wir brauchen in unfassbar vielen Dingen ein neues Verständnis für das, was die Zeit von uns fordert. Aber wir verharren leider in unseren alten Denkmustern und Routinen. Wenn der stationäre Einzelhandel über Amazon schimpft, die Kommunen Plakatkampagnen gegen den demographischen Wandel fahren und Digitalisierungsexperten vorm Mittelstand darüber plaudern, dass man gleich weg vom Fenster sei, wenn man jetzt nicht 4.0 mache, rege ich mich auf.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir alle in diesen Zeiten auf dem gleichen Wissensstand sind. Ein Online-Shop und eine vernetzte Fertigung sind keine Garanten für gelungene Digitalisierung. Dazwischen sind Menschen, die die Veränderung treiben. Und von ihr getrieben werden. Und bei dem Thema fangen wir alle bei null an, denn die sozialen Folgen des digitalen Wandels sind uns doch noch gar nicht klar. Das sieht man doch daran, wie viele Leute Angst vor Facebook haben – und nicht verstehen, dass das bereits eine weltweite Kommunikationsform, eine Kulturtechnik ist.“ Hüttemann appelliert: „Wir müssen lernen, dass der Wandel um uns herum bereits läuft, und wir den Wandel nur beherrschen können, wenn wir uns selbst neu denken, wenn wir verstehen was passiert, wenn wir das, was wir da krampfhaft bewahren wollen, auch mal auf seine Existenzberechtigung abklopfen. Wenn wir dann den Mut haben, das auch mal neu zu denken, von außen, nicht von innen, dann müssen wir auch keine Angst vor der Zukunft haben.“

Ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe des Magazins „Unternehmertum Südwestfalen“.