Weltmarktführer oder altes Eisen?

Warum wir genau jetzt die digitale Revolution in Südwestfalen brauchen!

Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen jemand ständig sagt, dass Sie die Zukunft verschlafen? Sie würden das entweder nicht ernst nehmen und ignorieren, weil Sie ja selbst am besten wissen, wo Sie stehen. Oder aber säuerlich reagieren, weil Sie spüren, dass da ein Fünkchen Wahrheit in der Beurteilung steckt. Und wenn in der Beurteilung etwas Wahres dran ist, dann hieße das ja, dass Sie etwas an sich ändern müssten. Und ändern tut weh – insbesondere dann, wenn der Grund dafür noch nicht so richtig greifbar ist. Oder wenn man keine Ahnung hat, was man eigentlich ändern soll. Dann setzen meistens Verzweiflung und Resignation ein.

Das Dilemma mit der Digitalisierung des Mittelstandes ist ja genau das. Einerseits besteht eigentlich kein Grund, etwas am Status quo zu ändern – es läuft ja alles auch so. Insbesondere in eher ländlichen Regionen wie Südwestfalen. Solange dort Taxis noch per Telefon und nicht per App gerufen werden, Car-Sharing kein Thema ist, Amazon seine „Same Day Delivery“ den Großstädten vorbehält und mancherorts der Einzelhandel „Preise wie im Internet“ bewirbt, ist auch kein Druck da, mit digitalen Gegenmodellen oder neuen Ideen mitzuziehen. Zumal: Man kann die Vorzüge der Digitalisierung ja sowieso nur wollen, wenn man sie schon mal erlebt hat. Also was soll sich ändern?

Wo nichts fehlt, fehlt nichts.

Anders ist es bei der Industrie, den produzierenden und zuliefernden Unternehmen, die unsere Region zur drittstärksten ihrer Art in ganz Deutschland machen, und wegen derer wir den Ruf als Landstrich der „Hidden Champions“ und Weltmarktführer zu Recht genießen. Gerade für die vielen Weltmarktführer verschwimmt die regionale und somit auch digitale Grenze derzeit schneller, als uns lieb sein kann. Denn dem Kunden, der sich für Stanzteile, Rohrbiegemaschinen, Walzwerktechnik oder Leichtbau interessiert, kommt es auf Geschwindigkeit an.

Die Grenze des Machbaren in Sachen Produktionsgeschwindigkeit hat man seit 1990 mit der Prozessoptimierung durch beispielsweise Lean Management und ähnliche Denkansätze ausgereizt. Schneller ging nicht. Bis der Bund das Thema „Industrie 4.0“ und damit nicht nur die digitale Revolution ausrief. Schneller geht doch. Durch Sensorik, Automation, maschinelle Kommunikation, Big und Smart Data. Durch die Digitalisierung von Prozessen, für die man sonst Köpfe, Hände, Aktenordner und Meetings brauchte. Durch neue Ideen, die fast täglich auf den Markt drängen, unsere Gesellschaft, unseren Konsum, unsere Kommunikation, unsere Art zu leben und zu lernen beeinflussen, verändern und prägen.

Kurzum, die Digitalisierung verändert unser Leben und somit früher oder später auch unsere Arbeit. Nicht nur in den Metropolen. Auch in den Regionen drumherum. Und auch in Südwestfalen. Das ist ein Problem. Für die Unternehmen, die hier zu Hause sind.

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Das mentale Dilemma mit dem Wandel

Unsere Erhebung im Rahmen des TRENDMONITORs SÜDWESTFALEN 4.0 wirkt auf den ersten Blick erfreulich. Die heimische Industrie sieht sich selbst im oberen digitalen Mittelfeld und kann durchaus bei der digitalen Veränderung mithalten. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die meisten unserer Unternehmen weltweit agieren, und von Wettbewerbern und Kunden lernen und adaptieren. Aber um diese Veränderung besser nutzen zu können, und um letztlich nicht nur auf Kundenzuruf Prozesse zukunftsfähig zu gestalten, sondern tatsächlich aus eigenem Antrieb die „vierte industrielle Revolution“ zu treiben, brauchen wir mehr als nur Aufträge. Wir brauchen Menschen, die gewillt sind, nicht nur mit der Veränderung zu gehen. Sondern selbst zu verändern. Und an denen mangelt es. Das zeigt unsere Studie. Die fehlende digitale Kompetenz der Mitarbeiter ist das große Problem, vor dem unsere Industrie steht.

Das ist das mentale Dilemma, in dem sich unsere und vermutlich jede andere Nicht-Metropol-Region derzeit befindet. Wo sollen die digitalen Veränderer denn herkommen, wenn das Digitale noch nicht alltäglich, sondern nach wie vor eher ein bisschen verpönt ist. Wenn MyTaxi und Foodora noch den Großstädten vorbehalten ist, wenn an Schulen noch das Schreckgespenst der „Digitalen Demenz“ bei Kindern geistert, die zu viel mit dem Smartphone spielen, und wenn auf der Bahnstrecke zwischen Siegen und Köln keine kontinuierliche Netzabdeckung verfügbar ist? Wie soll da das Digitale zum Leben gehören? Zur Haltung?

Das soll nicht apokalyptisch klingen. Früher oder später werden wir auch am Bahnhof Erndtebrück ein Taxi mit einer App bestellen können. Aber wir sollten nicht warten, bis es so weit ist. Unsere Industrie braucht jetzt frische Impulse.

Marco Petracca
(Senior Markenberater
PSV MARKETING GMBH)

Von Menschen, die Lust auf die digitale Welt haben. Diese Menschen werden in den seltensten Fällen einfach so von außerhalb zu uns kommen – dafür muss die infrastrukturelle Vernetzung der Region insgesamt besser werden. Aber wenn Unternehmen sich jetzt zusammentun, die Chance nutzen, und im Zuge ihrer Bestrebungen gegen den Fachkräftemangel eben nicht mehr nur mit mittelständischen Tugenden, Raum für Gestaltung und Teamgeist werben, sondern vielleicht sogar mit dem Argument, dass man genau jetzt die digitale Revolution von Grund auf mitgestalten kann … hätten wir dann nicht gleich mehrere Problemfelder beackert?

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Wir brauchen eine Revolution

Denn wenn es sich hier um eine Revolution handelt, dann brauchen wir Menschen, die nicht nur gewillt sind, etwas zu ändern. Sondern die auch Veränderung zulassen. Und genau daran hapert es noch. Das zeigt unsere Studie. Die Digitalisierung ist ok, solange sie vom Kunden gefordert ist. Das reaktive Verhalten ist allerdings gefährlich. Denn irgendwann kommt jemand und macht es eben nicht so, wie der Kunde will, sondern wesentlich besser. Auch wenn das Wort „Disruption“ völlig verwässert ist: Die Geschäftsprozesse der Industrieunternehmen werden früher oder später durch etwas Besseres ersetzt werden. Bei der Automatisierung von Vertrieb und Marketing ist das ja bereits zu spüren – warum sollte man Stahl nicht auch über eine Online-Plattform verkaufen?

Statt also darauf zu warten, dass Mitarbeiter irgendwann genug Kompetenz mitbringen, um Geschäftsmodelle zu digitalisieren, die in sich vielleicht gar keine Zukunft mehr haben, sollten wir in Südwestfalen die Revolution anstreben. Die Veränderung zulassen. Zum Beispiel, indem wir jungen, kreativen Menschen den Spielraum und die Freiheit geben, die Arbeit neu zu denken. Besser zu denken. Digitaler zu denken. Indem wir uns vielleicht ganz bewusst von alten Denkmustern, Hierarchien und Prozessen verabschieden und sie von Grund auf neu gestalten. Oder gestalten lassen. Und indem wir mehr Digitalisierung fördern. Nicht nur da, wo sie uns fehlt. Sondern da, wo wir sie vielleicht auf den ersten Blick noch gar nicht brauchen. Denn genau, wo wir sie am wenigsten vermisst haben, hat die digitale Welt die größte Schneise der Veränderung gezogen. Oder wann waren Sie das letzte Mal bei der Bank? Oder im Reisebüro?

Wir sollten als Region, als Marke, als drittgrößter Industriestandort Deutschlands nicht darauf warten, dass sich alles um uns herum ändert. Sonst hinken wir der Digitalisierung hinterher. Wir sollten die Veränderung selbst treiben. Fordern. Einklagen. Anstoßen. Umsetzen. Und damit Menschen die Chance geben, für unsere Heimat Zukunft zu gestalten. So wie sich das für eine vernünftige Revolution gehört.

Team: Marco Petracca

Über den Autor

Marco Petracca ist Senior Markenberater bei PSV und unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen bei der Erarbeitung von Markenstrategien. Diese Erfahrungen bringt er heute für die Entwicklung, Implementierung und Verankerung von Markenwerten in B2B-Unternehmen ein. Er ist davon überzeugt, dass die digitale Gesellschaft vom Teilen lebt. und dass dabei heute für Unternehmen nicht mehr nur Reichweite, sondern vor allem Relevanz zählt.