Warum besetzt die Markenberatung der Gegenwart so viele Disziplinen, wenn es doch immer um ein und dieselbe Sache geht?

Eine der Pflichten des Markenberaters ist der empathische Blick.

Der gute Markenberater muss sich immer wieder in die Lage seines Kunden versetzen, muss die Perspektive des Unternehmens sehen und verstehen. Er muss den tatsächlichen Bedarf erspüren, der sich hinter dem Auftrag verbirgt und das Bedürfnis verstehen, das den Auftraggeber treibt.

Meistens handelt es sich um ähnliche Bedürfnisse. Wenn jemand eine Markenstrategie will, will er Bekanntheit. Emotional verstärkt auch Beliebtheit. Produkt, Leistung und nicht zuletzt das Unternehmen sollen so stark begehrt werden, dass die Zielgruppe freiwillig, unbewusst und vielleicht sogar unbedacht bereit ist, ein „Opfer“ zu bringen. Bestenfalls in Form einer Entscheidung für die Marke. Noch besser: mit dem Gefühl, dass die Entscheidung kein Opfer, sondern eine Bereicherung ist.

Wenn ich mir die heutige Agentur- und Beratungslandschaft anschaue, frage ich mich, ob wir verlernt haben, dieses Grundbedürfnis unserer Auftraggeber zu erkennen. Woran ich das festmache? An den Themen, die wir jedes Jahr aufs Neue in unsere Kundschaft treiben. Digitale Markenführung, interne Markenführung, Employer Branding, Social Media als Markentreiber, Werte, Change, welches Marketinggeschwätz auch immer: Ich habe das Gefühl, dass unsere Branche den empathischen Blick verloren hat.

Natürlich müssen wir in Zeiten von Fachkräftemangel, Work-Life-Balance und Burnout über Arbeitgebermarke reden. Natürlich müssen wir über „internal brand commitment“ und das generelle Markenverhalten von Führungskräften und Mitarbeitern nachdenken – auch mit Blick auf den kulturellen und kommunikativen Wandel, den uns Social Media beschert. Aber sind wir als Markenberater, als Experten und Wissenschaftler, als Markenverantwortliche und Agenturen nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass Teilprobleme der Markenführung immer mit dem Kern, mit der gesamten Marke zusammenhängen? Wo ist unser empathischer Blick geblieben, wo ist die Frage nach der Ursache, die doch seit jeher wesentlich mit der Frage nach dem Wesen und der Wirkung einer Marke verknüpft ist?

Wenn Unternehmen in Employer Branding investieren, um Mitarbeiter zu binden und anzulocken: Liegt das Problem nicht zuletzt darin, dass die Stärken der Unternehmensmarke nicht sauber herausgearbeitet sind? Oder noch schlimmer: dass das Unternehmen einfach nicht das Potenzial hat, ein anziehender Arbeitgeber zu sein? Ist es dann richtig, eine Strategie zu empfehlen, die auf die üblichen Versprechen von „Entwicklungschancen“, „Eigenverantwortlichkeit“ und „Flexibilität“ setzt, mit menschelnden Bildwelten wirbt und eine starke Unternehmenskultur vorgaukelt? Müsste man nicht an die Ursache ran, an den Markenkern, an die unnachahmlichen, originären Werte, für die das Unternehmen steht, für die es brennt, mit denen das Unternehmen gewachsen ist?

PSV Geschäftsführer Frank Hüttemann

Und ist es richtig, in Social Media zu investieren, wenn die eigene Unternehmenskultur noch mittelalterlich ist? Kommunikative, „soziale“ Marke nach draußen, aber drinnen noch Facebook-Verbot oder strikte „Social Media Guidelines“? „Internal Branding“, um die Mitarbeiter zu Botschaftern generischer Markenwerte zu erziehen; Nach dem Motto: Wenn schon unsere Markenwerte nicht spannend sind, dann motivieren wir eben unsere Mitarbeiter, damit wenigstens etwas Feuer in die Bude kommt?

Unsere Branche hat den empathischen Blick verloren. Wir sehen Marke falsch. Wir müssen umdenken und verstehen, dass die Anziehungskraft einer Marke selten mit der durchdeklinierten Strategie zusammenhängt. Sondern vielmehr mit dem Willen, als Unternehmen etwas zu verändern, zu erreichen, etwas Besonderes auf dem Markt sein zu wollen. Nicht in der Darstellung. Im Wesen.

Ich wünsche mir, dass unsere Branche endlich wieder die Augen aufmacht!